Jil Herbst: „Die Saison 2024 zähle ich für uns als Meilenstein in unserer Entwicklung“

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Jil Herbst - Teamchefin von equipe vitesse // Foto: Racepix

équipe vitesse-Teamchefin Jil Herbst blickt auf die 2024er Saison ihres Teams zurück – zudem gibt sie einen Ausblick auf die 2025er Saison ihres Rennteams.

Seit April 2023 führt Jil Herbst die équipe vitesse aus Waldlaubersheim. Hinter dem Team liegt ein erfolgreiches Rennjahr mit gleich drei Titelgewinnen in der Nürburgring Langstrecken-Serie und ein Doppelsieg in der STT in Hockenheim. Zudem erzielte das Team viel Aufmerksamkeit, als der Audi R8 LMS GT3 des Teams beim NLS-Saisonauftakt die Schallmauer von 100.000 Kilometern durchbrach.

Wenn du ein Fazit zur 2024er Saison der équipe vitesse ziehen müsstest, wie fällt dieses aus? Und wie zufrieden bist du mit dem Rennjahr?

Die Saison 2024 zähle ich für uns als Meilenstein in unserer Entwicklung – sportlich, technisch und vor allem auch menschlich. Unser Teamgeist hat in diesem Jahr ein neues Level erreicht, und das hat sich auf und neben der Rennstrecke ausgezahlt. Wir können stolz sagen, dass wir für uns das beste Team haben, dass wir je hatten. Der Zusammenhalt ist einzigartig – wir gewinnen und verlieren zusammen. Hier passt unser Slogan „Ein Team. Eine Familie.“ perfekt. Auf eine enorm anstrengende erste Saisonhälfte folgte eine sehr erfolgreiche und entspanntere zweite Hälfte.

Einer der Momente des Rennjahres war, als der Audi R8 LMS GT3, mit dem ihr in der Nürburgring Langstrecken-Serie startet, die 100.000 Kilometer-Schallmauer durchbrochen hat. Was ist euer Geheimnis der Langlebigkeit des Fahrzeugs? Und wie waren die generellen Reaktionen darauf?

Der Audi wurde fast ausschließlich von Gentlemen in Langstreckenrennen gefahren, wodurch er auch deutlich mehr geschont wurde als ein DTM-Fahrzeug. Wir setzen viel Wert auf die regelmäßige Durchsicht der Fahrzeuge und können hier auf eine langjährige Expertise zählen – vielleicht sind wir hier etwas altmodisch: Bei uns wird noch repariert statt nur ausgetauscht.

Mit dem Audi R8 LMS GT3 in der in der Nürburgring Langstrecken-Serie // Foto: Racepix

Und dann liegt es ja auch an den Fahrern, dass sie alles ganz lassen – wir versuchen es ihnen mit einem passenden Setup und der richtigen Strategie so leicht wie möglich zu machen.

Die Reaktionen waren der Wahnsinn. Niemals hätten wir mit so viel Zuspruch gerechnet. Weshalb wir uns dazu entschieden haben, den 100.000 KM-Aufkleber auf dem Auto zu lassen. Es gab nicht einen Tag, an dem wir nicht darauf angesprochen wurden und wir freuen uns immer sehr, die Geschichte des Fahrzeuge den Fans zu erzählen.

Dass der Dauerläufer erfolgreich ist, hat man ja am Ende des Jahres gesehen: Neben dem Goodyear Wingfoot Award konnten ihr in der NLS die Klassenmeisterschaften in der SP9-Am- und in der SP9-Pro-Am-Klasse gewinnen. Wie kam es zu dem Kuriosum, dass ihr mit demselben Auto im selben Jahr zwei Titel gewinnen konntet?

Dass wir die SP9-Am-Meisterschaft gewinnen werden, wussten wir schon mit der Teilnehmerliste des letzten Laufs. Ein Start war für uns aber zwingend notwendig, um auch den Goodyear Wingfood Award zu gewinnen, hier brauchten wir nur noch eine Zielankunft. Da wir beim Finale spontan junge Unterstützung von Sascha Steinhardt auf dem Audi hatten, entschieden wir uns für den Start in der Pro-Am, in der laut vorläufiger Teilnehmerliste auch noch mehr Fahrzeuge genannt waren. Der Titelgewinn auch in dieser Klasse ist darauf zurückzuführen, dass sich leider viel zu wenige der anderen GT3-Fahrer einschreiben und dies besonders die Klassenmitbewerber der Pro-Am betrifft. Wir haben uns jedoch schon die letzten Rennen immer wieder mit der Pro-Am verglichen und konnten hier des Öfteren einige Team hinter uns lassen.

Wo wir gerade die SP9-Am-Klasse der NLS angesprochen haben: Ihr startet ja schon seit vielen Jahren in der Klasse. In diesem Jahr konnte diese einige neue Fahrzeuge gewinnen. Wie bewertest du die Entwicklung der Klasse und denkst du, dass auch in Zukunft weitere neue Teilnehmer dort starten werden?

Wir sind seit 2019 in der SP9-Am unterwegs und waren in diesem Jahr sehr begeistert von den Mitbewerbern. Es war in jedem Rennen eine tolle und zu 100% faire Competition. Es waren durchweg klassische Amateure auf baugleichen Fahrzeugen (überwiegend Audi R8 und ein Lambo) und zudem alle auf den Reifen von Goodyear unterwegs. Für uns war das immer wieder eine große Spannung mit sehr viel gesundem Ehrgeiz. Hier lag es überwiegend an dem Können der Fahrer und einer starken Strategie, sich am Ende gegen die Mitbewerber – mit denen wir übrigens allen sehr gut befreundet sind – durchzusetzen.

Man hört derzeit einen Zuspruch in unserer Klasse, was ein konstantes Level von fünf Fahrzeugen bedeuten würde, allerdings ist zum Jahresende hin immer viel geplant, entscheiden wird am Ende das Budget.

Ein weiteres Highlight in diesem Jahr war, dass ihr nach drei Stunden das 6h-Rennen der NLS – das alljährliche Saisonhighlight anführen konntet. War das ausschließlich durch den GT3-Massenunfall am Rennbeginn geschuldet, oder war der Grund dafür eine Strategieentscheidung des Teams, welche fast traditionell anders ist, als die Strategien der anderen Teams und euch so regelmäßig nach vorne spülen?

Ursprünglich sind 13 hochkarätige GT3-Fahrzeuge an den Start gegangen. Es lag in der Entscheidung der Fahrer und Teams, welche Reifenwahl sie treffen. Wir sind selbstverständlich auch mit Slicks gestartet, aber haben schließlich nach der ersten Runde aufgrund einer fast einstimmigen Teamentscheidung auf Regenreifen gewechselt – lediglich unser Fahrer Arno war dagegen, informierte uns aber schon nach der Boxenausfahrt über unsere richtige Entscheidung. Zu dieser strategischen Entscheidung haben bei uns klare Faktoren gezählt, die auch all den anderen Teams zur Verfügung standen. Die rote Flagge aufgrund der blockierten Strecke durch den Massenunfall war für uns mehr als unglücklich. Wir wagen mal anzunehmen, dass wir bei Fortführung des Rennens als einzige auf Regenreifen einen enormen Vorsprung ausgefahren hätten. Dennoch konnten wir nach dem Restart die Führung übernehmen und bis zum zweiten Fahrerwechsel Platz zwei halten.

Weshalb wir schließlich eine Podiumsplatzierung nicht halten konnten, ist unter anderem ein Reglementsthema: Die Cup 2 Fahrzeuge haben pro Boxenstopp im Schnitt 30 Sekunden geringere Mindeststandzeiten, fahren aber sehr ähnliche Rundenzeiten. Viele der Cup 2-Pro-Fahrzeuge sind mit Profis besetzt, hier ist es mit Amateuren schwer über eine Minute herauszufahren. Zumal die 992 Cup auf der Geraden schneller sind als wir.

Ich bin ein Kind der Nordschleife, bin hier von Geburt an dabei und die Strategie ist mein Steckenpferd. Gerade mit Amateuren versuche ich hier immer das Bestmögliche herauszuholen.

Großartiger Erfolg beim Start in der STT auf dem Hockenheimring // Foto: Patrick Holzer

Wenn man von Saisonhighlights spricht, dann muss auch das STT-Rennwochenende in Hockenheim erwähnt werden: Ihr konntet dort mit euren beiden Autos je einen Sieg einfahren, im zweiten Lauf sogar einen Doppelsieg. Wie war dieses Wochenende für dich?

Für mich war das Wochenende eine Achterbahn der Gefühle. Auf der einen Seite war es ein super entspanntes Wochenende auf unserer Heimstrecke – mit eigenem Teambereich in der Box, Popcornmaschine und unsere Fahrer haben uns bekocht. Auf der anderen Seite war es eine enorme Anspannung, wenn die eigenen beiden Fahrzeuge gegeneinander um den Sieg kämpfen. Der Sonntag hat gezeigt, wie schnell es bei einer Überrundung passieren kann, dass man viel Zeit verliert. Martin musste in Führung liegend ausweichen und wurde in einen Dreher gezwungen – hierdurch gelang es Kenneth, an Martin vorbeizuziehen. Als Teamchefin muss ich ehrlich gestehen, dass ich froh bin, dass dieser Kampf der Beiden nicht unmittelbar untereinander ausgemacht werden musste. Ich habe nicht nur die Strategie der beiden gemacht, sondern auch logischerweise beide Fahrzeuge auf einem Funk gehabt. Hier dann immer den richtigen Knopf zu drücken, wenn sich der eine über den anderen Fahrer erkundigt, wäre von Vorteil. Für uns war das ein Riesenerfolg, vor allem auch mit beiden Herstellern.

Kannst du schon mehr zu der Planung der équipe vitesse im Jahr 2025 sagen?

Die Titelverteidigung in der Nürburgring Langstrecken-Serie steht für uns schon fest. Das, was die VLN allen voran Nina, aber auch Mike und Christian sowie alle im Hintergrund hier wieder aufgebaut haben, muss unterstützt werden. In welcher Konstellation und wie viele Rennen können wir leider noch nicht final festlegen.

Auch der TwinBusch-AMG sowie der Bullpower-Audi werden wieder einige Rennen absolvieren, hier werden wir uns schöne Rennstrecken und -serien heraussuchen.

Unser Ziel ist es, auch in der Italian GT an den Start zu gehen. Hier dürfen sich Fahrer und/oder Sponsoren gerne noch melden.

Wo du gerade die Italian GT ansprichst – was macht diese Rennserie für ein deutsches Team so interessant?

Der Motorsport wird immer schwieriger – gerade in Deutschland. Das Geld wird knapper, die Kosten steigen enorm an und die Bestimmungen werden strenger. Von der Italian GT versprechen wir uns Kosten, die wir in Deutschland seit einigen Jahren nicht mehr haben. Zudem haben wir hier die Chance Sprint- & Langstreckenrennen zu kombinieren, oder aber strikt zu trennen. Jede Serie umfasst ein Volumen von vier Rennveranstaltungen, was auch wieder die Kosten für eine gesamte Rennserie geringer hält.

Die Streckenauswahl spricht uns sehr an und wir sehen die Serie für Amateure und Nachwuchsfahrer, aber auch Semipros, als perfektes Umfeld. Durch den Wegfall des GTC Race fehlt uns hier ein Einsatzgebiet als Übergang, bevor man einen Einstieg in das ADAC GT Masters in Erwägung zieht.

Wer dich kennt, weiß, dass du gerne einmal mit deinem Team im ADAC GT Masters antreten würdest – was macht diese Serie für dich so attraktiv und was muss für einen Start dort gewehrleistet sein für dich?

Das ADAC GT Masters ist und war für uns immer schon die Bundesliga des Motorsports. Selbst in einem Jahr mit teilweise nur einstelligen Teilnehmerfeldern, hat man starken Motorsport und spannende Rennen gezeigt. Die Jungs und Mädels vom ADAC gehen hier sehr auf die Vorschläge der Teams ein und kommen mit ihrem neuen Konzept ein bisschen „back to the roots“ und schaffen wieder mehr Attraktivität für Amateure. Leider reden wir hier auch von einem enorm hohen Budget, das definitiv gewährleistet sein muss.

Das Team von equipe vitesse // Foto: Racepix

Hast du zudem weitere Zukunftspläne für dich und die équipe vitesse?

Mit dem eigenen Team haben wir mir einen Kindheitstraum erfüllt, mit Starts beim 24h-Rennen auf dem Nürburgring, in der International GT Open und der Creventic sowie Meisterschaftsgewinne und Siege haben wir schon früh viele meiner persönlichen Ziele erreicht. Eine komplette Saison im ADAC GT Masters wäre für mich noch immer ein großes Ziel. Des Weiteren ist es mir wichtig, uns Frauen im Motorsport immer wieder zu fördern. Gerne möchten wir auch mehr für den Nachwuchs tun und jungen Fahrer ermöglichen in den GT3-Sport einzusteigen.

In den vergangenen Jahren wurden die Umstände für Rennteams immer schwieriger – wie anspruchsvoll ist es, momentan ausschließlich mit dem Motorsport zu überleben?

Ganz ehrlich? Schwieriger denn je. Als Frau und dazu noch verhältnismäßig jung macht es das Ganze nicht leichter.

Die Kosten sind gerade in den letzten zwei Jahren exorbitant angestiegen: + 25 % ist hier das Mindeste. Das ist in Zeiten, in denen jeder sparen muss, nicht von Vorteil.

Ich bin jetzt schon sehr lange im Motorsport, aber gerade die letzten zwei bis drei Jahre, ist das Miteinander im Fahrerlager viel rauer geworden. Das Fairplay fehlt immer mehr und wir mussten feststellen, dass Mitbewerber gezielte Maßnahmen ergreifen, um Kunden für ihre Angebote zu gewinnen. Diese Herausforderungen haben uns jedoch nur stärker gemacht und unseren Fokus auf Teamzusammenhalt, Qualität und Innovation geschärft. Wir sind überzeugt, dass unsere Arbeit und Werte langfristig überzeugen werden und können uns glücklich schätzen, so tolle und treue Kunden und Partner an unserer Seite zu haben.